Pacing
Chronische Erkrankungen gehen häufig mit einer eingeschränkten Energieverfügbarkeit einher, die die Belastungsgrenze verschiebt. Das Überschreiten dieser Grenzen kann zu einer Symptomverschlechterung führen. Bei ME/CFS wir dieses Phänomen als Post-Exertionelle Malaise (PEM) bezeichnet. Auch der Begriff „Crash“ hat sich etabliert.
Hier setzt das „Pacing“ als Strategie zum Energiemanagement an. Ziele des Pacings sind zum einen das Kennenlernen der eigenen Belastungsgrenzen, zum anderen zielt es darauf ab durch eine strukturierte Planung des Alltags zu lernen, innerhalb der noch vorhandenen Grenzen zu agieren, um eine PEM/Crash bestmöglich zu vermeiden.
Pacing beinhaltet das bewusste Management von Aktivitäten und Ruhephasen, um ein Gleichgewicht zwischen Energieverbrauch und Erholung zu erreichen. Dabei ist es wichtig, die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen und den Alltag entsprechend zu strukturieren.
Belastungsgrenzen erkennen:
Durch die Erkrankung verändern sich die individuellen Energiegrenzen. Aktivitäten, die zuvor problemlos waren, können nun herausfordernd sein. Es ist entscheidend, diese neuen Grenzen zu identifizieren und auf die Signale des Körpers zu achten. Ein Aktivitäts- und Symptomtagebuch/App können dabei helfen, Muster zu erkennen und Aktivitäten zu identifizieren, die zu einer Verschlechterung führen.
Aktivitäten und Ruhephasen planen:
Aktivitäten
Eine strukturierte Planung des Tagesablaufs hilft, Überanstrengung zu vermeiden. Dabei können folgende Strategien unterstützen (vgl. Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V.):
- Priorisieren: Die wichtigsten Aufgaben für den Tag/die Woche identifizieren und ggf. aufteilen. Weniger dringende Tätigkeiten verschieben oder weglassen.
- Delegieren: Aufgaben an andere Personen abgeben, um die eigene Belastung zu reduzieren.
- Verändern: Regelmäßige Tätigkeiten so modifizieren, dass sie weniger anstrengend sind, beispielsweise im Sitzen/Liegen statt im Stehen arbeiten oder sehr kurze Bewegungseinheiten.
- Abwechseln: Zur Vermeidung von Überlastung unterschiedliche Muskelgruppen ansprechen oder zwischen körperlichen und kognitiven Aktivitäten wechseln.
- Hinhören/Abbrechen: Frühzeitig Warnsymptome (z.B. stärkerer Brainfog oder Halsschmerzen), die einen Crash ankündigen, erkennen und rechtzeitig Pausen einlegen bzw. die Tätigkeit wechseln oder ganz abzubrechen.
Ruhephasen
Neben der Planung von Aktivitäten unter den genannten Aspekten ist die vorausschauende Planung von Ruhephasen absolut unerlässlich.
So sollten in den Tagesablauf immer wieder gezielte Pausen integriert sein. Idealerweise erfolgt auf eine aktive Phase immer gezielt eine Ruhephase. Es empfiehlt sich hierbei auch ein Wechsel zwischen „aktiver Erholung“ und vollständiger Ruhe (-> keinerlei Ablenkung).
Pacing mittels Herzfrequenzmessung:
Auch die Nutzung eines Herfrequenzmessers kann beim Pacing unterstützen. Ziel ist es, unterhalb der anaeroben Schwelle zu bleiben und somit weitere Crashs zu vermeiden. Die Obergrenze lässt sich entweder individuell durch eine Spiroergometrie (Belastungstest) bestimmen oder man verwendet einen Richtwert.
Zur Bestimmung des Richtwerts messen Sie nach dem nach dem Aufwachen noch im Liegen Ihren Ruhepuls. Ermitteln Sie hieraus mach einem Zeitraum von sieben Tagen den durchschnittlichen Ruhepuls. Bei Aktivitäten sollte dieser Wert nicht über ca. 15 Schläge pro Minute überschritten werden. Liegt bereits am Morgen der Ruhepuls 10 Schläge über oder unter dem Durchschnittswert, kann das auf eine Überlastung hindeuten. Es ist ratsam Aktivitäten an diesen Tagen zu reduzieren und mehr Pausen einzulegen.
Auf dem ME-CFS Portal, der größten Online-Selbsthilfegruppe im deutschsprachigen Raum für Menschen mit ME, CFS, Long-Covid, Post-Covid und Post-Vac-Syndrom, findet sich eine Excel-Datei „Pacingzonen für Pulsuhren bei ME“(vgl. https://www.me-cfs.net).
Da sich aber bei kognitiven Aktivitäten der Puls nicht zwangsläufig verändert, ist es hier wichtig auf die individuellen Warnsignale des Körpers zu achten, um eine PEM zu vermeiden. Auch bei POTS (Posturales Orthostatisches Tachykardiesyndrom) ist diese Methode kaum anwendbar. (vgl. Webseite Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V. )
Um den tatsächlichen Ruhepuls zu ermitteln, wenn er morgens aufgrund autonomer Störungen oder erhöhten Adrenalins überhöht ist, messen Sie ihn mehrmals täglich nach jeweils zehn Minuten Liegen. Der Durchschnitt von 21 Messwerten kann dann als Referenz verwendet. (vgl. Webseite millionsmissing.de)
Was Pacing nicht ist!
Pacing ist keine Methode, bei der man seine Aktivität schrittweise steigert. Im Gegenteil: Es handelt sich um eine Gegenstrategie zur sogenannten graduellen Aktivierungstherapie (Graded Exercise Therapy, GET), die in einigen medizinischen Fachkreisen für ME-Betroffene noch immer empfohlen wird.
Erfahrungen von Betroffenen und wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass eine solche graduelle Aktivierung zu dauerhaften und schweren Verschlechterungen führen kann.
Eine internationale Studie, die Umfragen unter Betroffenen aus über 30 Ländern ausgewertet hat, konnte belegen: Die Mehrheit profitiert von Pacing, während Aktivierung in den meisten Fällen schadet. (vgl. sgme)
Ein sehr liebevoll gestalteter und informativer Blog mit vielen Tipps und Erfahrungen ist Tanjas Pacing-Blog
Ein ausführlicher und gut beschriebener Beitrag zum Thema „Pacing“ findet sich u.a. auch auf https://sgme.ch/pacing

